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MOBILcITY
Wohnen im Geschwindigkeitsrausch

PROJEKT
Diplomarbeit / Diploma Thesis

TYP
Städtebau

ORT
Istanbul, Türkei

ZEITRAUM
2002

MOBILcITY …. es ist ein Ort, geprägt von hoher Geschwindigkeit und zugleich bewusster Einsamkeit. Ein ort, der die absolute Nähe zum Anderen sucht und dennoch die Ruhe fordert.

Die MOBILcITY ist die Vision einer globalen Stadt, die auf Mobilität und auf ein Netzwerk, gelegt über die bestehenden Städte, basiert. Sie folgt dem Wunsch, einer durch die weltweite Kommunikationswelt entstandenen globalen Gesellschaft, einen adäquaten Bewegungsraum anzubieten.

Nach einem Jahrhundert des Automobils und deren Auswirkungen auf das städtische Gefüge ist Automobilität das zentrale Element unserer Wahrnehmung von Städten geworden.

In den Stadtvisionen der Moderne war das Automobil Hauptgenerator für die abstrakte, grossformatige Architektur. Mobilität war die Voraussetzung für die funktionale Trennung in der modernen Stadt.

Jahrzehnte später hat die propagierte Automobilität aus verschiedenen Gründen zur Immobilität geführt. Wieviele Stunden sitzen die Menschen täglich in ihren Autos, gefangen im Stau des Pendelverkehrs? Welche ökonomischen Auswirkungen hat dieser Verlust für unsere Gesellschaft?

Mobilität ist mehr denn je gefragt.

Die modernen Visualisierungs- und Kommunikationstechniken haben die Globalisierung der Austauschprozesse enorm beschleunigt. Die jahrzehntelange Bindung an eine Firma wird immer stärker ersetzt durch temporäres, projektorientiertes Arbeiten. Die ortsgebundene Arbeit wird durch die neuen informationsverarbeitenden Techniken obsolet. Dies bietet ein hohes Potential für die Flexibilisierung der Arbeitszeit. Jeder kann nun als Alleinunternehmer seine Arbeitskraft in temporär organisierten Teams zur Verfügung stellen.

Die ortsungebundene mediale Kommunikation wird in vielen Teilen auch den Wunsch nach realen Begegnungen erzeugen. Eine höhere Mobilität wird gebraucht, um die heute noch weiten Entfernungen in akzeptabler Zeit zurückzulegen.

Die Zentralisierung von weltweit operierenden Unternehmen und Organisationen in den sogenannten Global Cities mit ihrer Orientierung an bestmöglicher Verkehrsinfrastruktur und das jährlich steigende Verkehrsaufkommen sind Zeichen für die immer noch hohe Bedeutung von unmittelbarer Kommunikation.

Das bestehende globale Netz der Autobahnen, entstanden durch die weltweite Automobilisierung, kann dabei als Grundlage für die MOBILcITY dienen.

Istanbul – Stadt zwischen Abend- und Morgenland

Istanbul, eine Stadt mit 12 Millionen Einwohnern, manche Schätzungen gehen bis zu 15 Millionen Davon stammen 90% aus allen Dörfern der Türkei, die in den letzten 30 Jahren zugewandert sind. Eine ständig wachsende Metropole. Die Geschichte ist noch überall spürbar. Lange Zeit war es ein christliches Zentrum: Konstantinopel.

Dann das Zentrum des Osmanischen Reiches: Istanbul als Mosaik des Vielvölkerstaates.

Heute die Wirtschaftsmetropole der Türkei. Fast 50% der Wirtschaftskraft des Landes sind hier und entlang der Marmaraküste gebündelt.

Istanbuls eigentümliche Mischung aus orientalischem Erbe und westlichem Einfluss, islamische und sekuläre Praktiken, einheimischer und importierter Kultur bildet ihre Besonderheit. Durch die stetige Zuwanderung ist Istanbul enorm gewachsen und zusammen mit der Automobilisierung auch das dafür notwendige Autobahnnetz.

Wenn ich an Istanbul denke, dann sind es nicht nur die vielen Minarette, die die Stadtsilhouette prägen. Eine wichtige Orientierung in der sonst chaotischen Stadt bietet die Stadtautobahn E5. Was ist das für ein Raum, der durch diese Autobahn geprägt ist, den Millionen von Menschen täglich nutzen? Hat er Qualitäten? Ist er rein funktional, nur auf Geschwindigkeit ausgelegt? Sind das große M von „McDonalds“ und die Tankstellenschilder die einzigen Erinnerungswerte, entlang einer 80km langen Linie vom europäischen Teil Istanbuls bis zum asiatischen Teil im Osten? Wie wäre dieser Raum ohne die vielen Autos, den Lärm, die Abgase? Entspricht diese Form der Fortbewegung noch den Bedürfnissen der Menschen? Kann sie anders gestaltet werden?

MOBILcITY = Autobahn+

Der unzureichend genutzte Raum entlang der Autobahnen wird mit der MOBILcITY neu bewertet. Hier kann in Konkurrenz (und nicht als Ersatz) zur bestehenden Stadt eine den heutigen Bedürfnissen gerechte Alternative entstehen. Ziel ist es eine neue Stadtstruktur anzubieten, die unserer pluralistischen Gesellschaft entspricht, nach Rem Koolhaas der „society of the and“ und nicht einer „society of the or“ (Le Corbusier – Plan Voisin) gerecht wird.

MOBILcITY an der Schnittstelle Goldenes Horn und byzantinische Stadtmauer

Dieser Ort war die Grundlage bzw. der Ursprung der Gedanken für dieses Projekt. Hier berührt die Altstadt von Istanbul (mit ihrer alten byzantinischen Stadtmauer und der dahinterliegenden kleinteiligen Stadtstruktur) die Hauptverkehrsader Stadtautobahn E5. Zwei unterschiedliche Symbole der Stadtgeschichte treffen an diesem Ort aufeinander: Auf der einen Seite eine brüchige, an die Topographie angepasste alte Struktur. Sie wurde zur Begrenzung der Stadt gebaut. Und auf der anderen Seite eine lineare, die Topographie negierende, moderne Struktur. Sie hat zur Explosion der Stadt geführt.

MOBILcITY – Eintauchen in eine neue Stadt

Bestehende Strassenverbindungen, ehemalige Strassenzüge und wichtige öffentliche Plätze und Parks (wie z.B. der Parkstreifen entlang des Goldenen Horns) werden für eine Verbindung der bis dahin getrennten Stadtquartiere aufgenommen. Hier entstehen die Tore für die geschwindigkeitsorientierte Stadt. Der Einstieg in die MOBILcITY von unten mit Rolltreppen macht den Wechsel der Stadtstruktur spürbar. Die Architektursprache der globalen und unendlich längsgerichteten Stadtstruktur kontrastiert mit der umgebenden Bebauung.

MOBILcITY – Stadt der drei Ebenen

Oben: Wohnen im Wohn(mobil)iar bzw. Stadt(mobil)iar
Zentral: Geschwindigkeitsebene
Unten: Erlebnisräume auf der ganzen Linie
Die auf beiden Seiten angebrachten Schleusen mit Aufzügen machen einen Wechsel der drei extrem verschiedenen Ebenen möglich. Sie dienen zugleich als Parkierung für nicht genutzte und für den Service bereitstehende Module.

MOBILcITY – die Geschwindigkeitsebene

Das zentrale Element der MOBILcITY ist die Geschwindigkeitsebene. Sie erlaubt auf neun Bahnen in beide Richtungen Geschwindigkeiten bis zu 400 km/h. Diese hohen Geschwindigkeiten können nur mit Hilfe von modernen Navigationsinstrumenten gesteuert werden. Der Mensch ist nicht mehr Fahrer seines Fahrzeugs; das Automobil wird seinem Namen gerecht. Nicht mehr das Motto „Freude am Fahren“ zählt, sondern „Freude beim Fahren“. Neue Informationstechnologien leiten die multifunktionalen, mobilen Module. Sie werden für die Zeit der Nutzung gemietet. Damit werden die Module (im Gegensatz zum Privat-PKW heute) optimal genutzt.

MOBILcITY – Wohnen im Wohn(mobil)iar bzw. Stadt(mobil)iar

Die Stunde der Ruhe:
„…Der ´Achtstundentag´. Vielleicht eines Tages selbst der ´Sechsstundentag´. Pessimisten und Angsthasen sagen sich: der Abgrund liegt vor uns. Was soll man mit diesen freien Stunden, mit diesen leeren Stunden anfangen? Sie ausfüllen. Es springt in die Augen, daß wir hier ein Problem der Architektur vor uns haben: die Wohnung; des Städtebaus: die Organisation der Wohnviertel, die Maschine zum Atemholen. Die Stunde der Ruhe ist die Stunde des Atemholens…“
Le Corbusier: „Städtebau“, 1929

Als Ausgleich für die geschwindigkeitsorientierte, hektische Stadt kann im privaten Wohnraum mit der Orientierung zum blauen Himmel die absolute Ruhe genossen werden. Je nach Wunsch bietet das Wohn(mobil)iar unterschiedlichste Räume für den Rückzug an. Dazwischen können natürliche Materialien im Inneren als ruhige Oberfläche für die Kontemplation dienen.

Die Trennung zwischen Wohnraum und Arbeitsraum ist in der MOBILcITY nicht zwingend. Für Besprechungen in kleinen Gruppen können die Teamkollegen mit ihren Modulen in die Wohnschiene einfahren.

An beiden Enden der Wohnschiene können die normalerweise opaken Glasflächen auf durchsichtig umgeschaltet werden. Damit ist die Möglichkeit gegeben, auch einen Blick auf die Stadt, die Umgebung, in die Ferne zu werfen.

In der MOBILcITY kann jeder Kunde seinen Wohnraum je nach Wunsch per Internet vorprogrammieren. Zu dem gewünschten Termin werden dem zukünftigen Bewohner des Wohnstreifens die georderten Module zusammengestellt. Sie werden dabei als mobile Einheiten betrachtet: Wellness-Modul, Happyday-Modul, ServeYourself-Modul, Wasser-Modul, Bad-Modul, Essraum-Modul, Relax-Modul,..

MOBILcITY – Hotel mit Blick auf die Hagia Sofhia

Hotel-Module bieten die Möglichkeit, bei kurzzeitigen Aufenthalten in den seitlichen Ebenen der MOBILcITY anzuhalten und mit einem schönen Blick auf z.B. die Hagia Sofhia einzuschlafen.

MOBILcITY – Erlebnisräume auf der ganzen Linie

Der unendlich lange Erlebnisraum kann je nach Ort, auf den die MOBILcITY trifft, variiert werden. Schneelandschaften in Istanbul oder Tropical Atmosphäre in Stockholm sind mögliche Programme, die dem Kontext entsprechend eine Alternative zu dem vorhandenen städtischen Erlebniswert bieten können. Die Introvertiertheit der MOBILcITY schafft den nötigen Abstand zu der umgebenden Bebauung, um die künstlichen Räume ohne Rücksicht auf den Kontext zu gestalten. Künstliche Landschaften und Themenparks sind bisher der Versuch dem durch virtuelle Stimulanswelten verwöhnten Bewohner Reize zu bieten. Dies wird aber vorwiegend auf der grünen Wiese „veranstaltet“. Mit der MOBILcITY ist die Möglichkeit geschaffen, direkt an der nötigen Infrastruktur auf einer unendlich langen und damit unbegrenzten Fläche Stimulanswelten zu generieren.
Das Projekt „Real World“ von Brian Eno und Peter Gabriel könnte hier realisiert werden. Dabei geht es um den Versuch Musik und Kunst über künstliche, real erlebbare Räume zu vermitteln, Musik räumlich zu interpretieren.

Brian Eno über das Projekt:
„I imagined that, in the near future, people would be allowed a different kind of access to art and entertainment – that it would be possible to climb inside a book, a piece of music, a film, or a painting and experience it as a real world.“

Orientierung versus Navigation
Im Gegensatz zur herkömmlichen Stadt, wo auffallende Architekturobjekte Orientierung bieten, hat die Frage: Wo bin ich? in einer Stadt, in der Bewegung dominiert, keine Relevanz. Absolute Orientierung wird ersetzt durch eine relative Orientierung: Wohin gehe ich? Auf dem Weg von A nach B mit meinem mobilen Modul ist die Orientierung gänzlich bestimmt durch B.

Mass Customization

Nachdem der technische Fortschritt die computerunterstützte Produktion erlaubt, können wir von dem Ideal der Moderne, die Serienproduktion, abrücken. Der Ökonom B. Joseph Pine hat dabei den Begriff der „Mass Customization“ geprägt: Für jeden Kunden genau das Produkt bereitstellen, das er wünscht – und dies zum Preis eines vergleichbaren Standardprodukts. Die „kundenindividuelle Massenproduktion“ bedeutet jedoch nicht, für jeden Kunden ein von Grund auf neues Produkt auszuarbeiten, sondern variable Module eines Grundtyps nach Maßgabe des Kunden zu verändern.

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